Ludwig Ammann

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Essay zu Islam-
Wissenschaften

Leseproben von Ludwig Ammann

Islamwissenschaften
in: Klaus E. Müller (Hg.), Phämen Kultur, Bielefeld 2003

Es geht auch anders: das gilt nicht zuletzt für die Kultur der Moderne. Zu den heute wichtigsten Aufgaben von Islamwissenschaft gehört es, gegen monokulturelle Defizitdiagosen wie Bassam Tibis "Traum von der halben Moderne" - ein Assimilationsprogramm! - den Traum von der islamischen Moderne nachzuzeichnen und die islamische Renaissance als zunehmend kulturelle, lebensreformerische Bewegung zu begreifen, die um eigene, alter/native Wege in die Moderne ringt. Zugleich ist gegen eine pauschale Kulturalisierung der Konflikte nach dem Muster von Samuel Huntingtons "blutigen Grenzen des Islam" durch Nachweis der historischen Konfliktursachen Einspruch zu erheben, ohne in kontraproduktive Apologetik zu verfallen. Mit anderen Worten: Eine dezidiert politische Publizistik tut not, die Fachwissenschaft kann das Geschäft nicht Söldnern und Dilettanten überlassen.
Die nachhaltige Aufklärung hätte bei denen zu beginnen, die noch gar nichts wissen - also in der Schule. Wir sollten darauf hinwirken, dass Grundwissen über islamische Geschichte und Gegenwart in den Lehrplänen verankert wird und Einführungen wie die von Gabriel Mandel Khan angeschafft werden. Die Aufklärung erfordert überdies öffentliche Widerrede, wenn ignorante Platzhirsche des Diskurses wie Karl-Heinz Bohrer (geb. 1932) Verkennungspolitik betreiben. Der Herausgeber des "Merkur. Zeitschrift für europäisches Denken" erklärte jüngst in einem aufgeregten Editorial nach den Ereignissen des 11. September 2001: "Der Islam ist eine unaufgeklärt gebliebene, frühmittelalterliche Religion, die periodisch aggressiv ausbricht, vergleichbar in seinen zivilisatorischen Defiziten mit der spanischen Kirche zur Zeit der Inquisition, deren Folgen bis zum faschistoiden Franco-Regime reichen. Faschistoid jedenfalls sind sowohl die afghanischen Taliban wie auch die saudischen Wahhabiten, die zwei aktuellen Versionen des sektiererischen Mohammedanismus. Dies nicht als Spielart des Islam zu erkennen, ist 'nützliche Idiotie'."
Wenn zwei Versionen - unter vielen anderen! - des "selektiererischen" Segments als Spielart der nichtsektiererischen größeren Religionsgemeinschaft erkannt werden, warum dann das Pauschalurteil über "den" Islam? Würden wir von Südstaaten-Baptisten auf "das" Christentum und seine zivilisatorischen Defizite schließen? Und was will uns der Begriff "frühmittelalterlich" sagen? Sollen hier die zivilisatorischen Defizite der europäischen Zivilisation im frühen Mittelalter der islamischen angedichtet werden, die jener zur Zeit ihrer Blüte weit überlegen war? Weiß Bohrer, wie wenig Sinn es macht, europäische Epochenbegriffe unbedacht auf eine nichteuropäische Zivilisation zu projizieren? Sind für ihn die Befreiungskämpfe kolonisierter islamischer Völker periodische Ausbrüche der Religion? Was soll der Versuch, "den" Islam mit der spanischen Inquisition in Verbindung zu bringen? Ja, es gab auch in der islamischen Welt einen berühmten Fall von Inquisition. Nur war es nicht die Kirche, die zur peinlichen Befragung schritt, sondern der Staat! Die Kalifen al-Ma'mûn und seine beiden Nachfolger ließen von 833 bis 847 n. Chr. foltern, um - man höre und staune - eine "aufklärerische", nämlich der rationalistischen Theologie der Mu'tazila nahestehende Doktrin vom geschaffenen Koran mit Gewalt durchzusetzen, gegen die traditionalistischen Gelehrten und die "große Masse des gemeinen Volks" ohne "des Wissens Licht", so das kalifale Schreiben.
Die Lichtmetaphorik sollte dem "Aufklärer" Bohrer und Untersteller von finsterem Mittelalter bekannt vorkommen. Es war, dies die welthistorische Pointe, just der erleuchtete Gesinnungsterror im Namen des besseren Wissens, der der Reaktion, dem antiaufklärerischen Traditionalismus zum Sieg verhalf und die Mu'tazila zutiefst diskreditierte - eine entscheidende Weichenstellung in der Geschichte des islamischen Denkens, über deren Ursachen selbstkritisch nachzudenken hätte, wer über die Geschicke von Aufklärung im Islam räsonniert. Und was, bitte, soll zu guter Letzt das Wort "Mohammedanismus"? Wer sich ein Urteil über "den Islam" erlaubt, sollte wenigstens wissen, daß dies eine grundfalsche Projektion christlicher Verhältnisse auf eine Religion ist, die sich in der Hauptsache gerade nicht nach dem Propheten nennt! Es dennoch zu tun, ist eine kindische Beleidigung wie "Papismus". Oder kommt, wer Schaum vorm Mund trägt, nicht mehr zum Denken? Das wäre dann allerdings "nützliche Idiotie"! Allein, der Stumpfsinn hat Methode: Im Anschluß drucken die Herausgeber einmal mehr einen Essay von Siegfried Kohlhammer ab, der die Existenz eines Feindbilds Islam kategorisch bestreitet. Das war schon vor sieben Jahren fragwürdig, schließlich machten Huntingtons islamophobe Kulturkampf-Thesen bereits 1993 als Aufsatz Furore, von Volkes unveröffentlichter Stimme ganz zu schweigen. Spätestens mit der Buchpublikation wurde seine ahistorische Kulturalisierung der Konflikte Kult, die alles Blutvergießen auf das Merkmal "Zugehörigkeit zu einer aggressiven Religion" zurückführt.
Noch deutlicher zeichnet sich die Trendwende in der veröffentlichten Meinung seit dem 11. September 2002 ab: Oriana Fallacis (geb. 1929) Hetzschrift "Die Wut und der Stolz", ein Manifest des Antiislamisus, schafft auf Anhieb den ersten Platz auf den internationalen Sachbuch-Bestsellerlisten. Die Autorin ist in ihrer Tollwut intellektuell nicht satisfaktionsfähig. Aber was ist davon zu halten, wenn ein Geschichtswissenschaftler wie Hans-Ulrich Wehler (geb. 1931) die Debatte nach dem 11. September allen Ernstes so "in eine historische Perspektive" rückt: "Der Islam ist die einzige Weltreligion, die noch immer auffällig rasch expandiert. Er wird das Christentum bald weit überholt haben. Es handelt sich um einen militanten Monotheismus, der seine Herkunft aus der Welt kriegerischer arabischer Nomadenstämme nicht verleugnen kann." Die Türken, so fährt der Mann fort, seien aufgrund ihrer Religion nicht integrierbar; die Kulturgrenze zwischen Europa und der Türkei zu ignorieren sei ein "Akt mutwilliger Selbstzerstörung".
Dies ist die geistige Bankrotterklärung einer Gesellschaftsgeschichte, die an den Grenzen Europas endet und für aussereuropäische Kulturen nur eine ahistorische Kulturanthropologie des Ressentiments übrig hat; eine perfide oder einfach nur senile Variante des alten Lieds: Fürs Abendland Geschichte, Gesellschafts- und Politikwissenschaft, für die geschichtslosen Wilden - einmal Glaubenskrieger, immer Glaubenskrieger - Völkerkunde. Wehler beklagt die "Provinzialität der deutschen Historikerzunft". Recht hat er, mehr als er ahnt. Es sei schwierig, "auch nur einen guten Historiker" zu finden, der etwas über den Nahen Osten sagen kann. Da hat er wohl am falschen Ort gesucht: Es gibt exzellente Nahost- und Islamhistoriker in Deutschland - allerdings nicht ohne Grund selten in seiner Zunft, in der offenbar Islam-Dilettanten das Sagen haben. All dies nennt man gemeinhin ein Feindbild. Das macht, wenn man es leugnet, aus dem sonst so besonnenen "Merkur" leider Gottes ein Zentralorgan für eurozentrisch borniertes Denken.
Ludwig Ammann